Man kann nicht alles haben. Ein Rückblick

Man kann nicht alles haben.

Ein simpler Satz.

Haben wir alle schon gehört.

Und doch scheint uns diese Weisheit in unserem Lebensstil verloren gegangen zu sein.
Besonders deutlich zeigt sich das wohl in der Elternschaft des 21. Jahrhunderts.

Die ominöse Vereinbarkeit von Kind und Karriere.
Die “Alles ist Möglich-Lüge” (Garsoffky & Sembach).

Nein eins von beiden reicht nicht (mehr).
Es MUSS beides sein.
UND MEHR!

Dazu gesellen sich natürlich noch weitere Dinge. Reisen, Weiterbildungen, Politisch aktiv sein, erfüllende Partnerschaft, tiefe Freundschaften, Hobbies, Fitness und Gesundheit usw.

Das Ideal in diesen Zeiten ist absurd.

Wir versuchen möglichst viele Dinge in einen stark begrenzten Raum zu zwängen.
Und dann steigt die Unzufriedenheit, wenn dieses absurde Kunststück nicht gelingt.
Wir fühlen uns schlecht, ungenügend, vielleicht als hätten wir ein Stück weit versagt.

ABER andere schaffen das doch auch.

OHA da kommt der zweite Übeltäter!!!
Der Vergleich mit anderen. (Social Media lässt grüßen)
Das wäre noch einmal ein Thema für sich.
Aber es führt einfach nur zu Unglück, sich ununterbrochen mit anderen zu vergleichen.

Weder wissen wir, wie es den anderen wirklich geht oder welche Opfer sie erbringen. Davon einmal abgesehen, dass für alle individuelle Rahmenbedingungen herrschen (Unterstützung, Möglichkeiten, Kompetenzen usw.)

NEIN. Ich muss nicht alles haben.

Mich beruflich zu entwickeln und Familien zu unterstützen ist mir wichtig und erfüllt mich mit Sinn.
Papa zu sein und Familie zu leben ist mir wichtig(er) und erfüllt mich mit Sinn.

BEIDES ging FÜR MICH in den letzten Monaten gar nicht zusammen.

Ich muss nicht alles haben.
Ich muss mich auch nicht mit anderen vergleichen, die alles scheinbar „gut“ zusammenbekommen.

Keinen Bock mehr!

Ich hatte gestern ein Telefonat mit einer befreundeten Mutter, die sich nach ihrem Jahr Elternzeit auf den Wiedereinstieg in den Job vorbereitet.
“Es sei jetzt mal Zeit für einen Tapetenwechsel. Mehr Input”. Und ich konnte sie gut verstehen. Das ist in aktuellen Tagen natürlich das Grundgefühl, völlig unabhängig davon, ob man Kinder hat oder nicht.

Aber ich weiß, was sie meinte.

Das Gefühl, als “Vollzeit-MaPa”, wenn man einfach Bock auf etwas anderes hat.

Wenn man die Schnauze voll hat von Bespaßung, Wutanfällen und Spielplatzbesuchen.

Als ich noch einmal mein Verständnis ausdrückte und beschrieb, dass ich schon seit knapp 6 Jahren in (Dreiviertel-)Vollzeit zu Hause war, war sie baff und drückte pures Erstaunen aus.
Nach dem Gespräch kam ich irgendwie in den Modus, auf die letzten Jahre zurückzublicken und das Gesamtbild zu betrachten.

-> Kenne ich diese Phasen, in denen man viel lieber etwas anderes tun würde?
Absolut. Gerade, wenn man sich in seinen Kompetenz noch gar nicht so richtig ausgetobt hat, gibt es da eine starke Sehnsucht.

-> Kenne ich nicht die Phasen, in denen man sich mit Kindern zu Hause ziemlich isoliert und alleine fühlt, ohne ausreichende Kontakte?
Absolut und das ist in dieser Zeit natürlich noch extremer, weil nicht einmal die Cafés aufhaben. Mangelnde Kontakte und Isolation sind wohl die zentralen Problemfelder für viele Eltern in diesen ersten Jahren. Schön, wenn man frühzeitig andere Eltern im Freundeskreis hat oder über Kurse o. ä. kennenlernt.

Menschen sind gesellige Wesen. Das gilt für Familien zum Quadrat.

Mit den Jahren wurde es natürlich besser, aber diese Phasen kenne ich gut.

-> Waren die Tage nicht anstrengend und kräftezehrend?
Klar. Es gibt Tage, da zählt man jede Sekunde, bis der*die Partner*in nach Hause kommt. Das hat ganz stark mit dem zweiten Punkt zu tun.

Und doch bereue ich keinen Tag!

Ich bereue keinen Tag

Rückblickend würde ich meine grundsätzlichen Entscheidungen nicht anders treffen, obwohl ich mir vieles anders wünschen würde.
Natürlich würde ich mir eine Gesellschaft wünschen, deren Politik und Arbeitgeber die Bedürfnisse von Familien mehr im Fokus haben.
Ich hätte gerne eine super passende Vereinbarkeitsstrategie für meine familiären und beruflichen Wünsche gehabt.
Und natürlich ist es unfair, wenn Elternschaft sowohl kurz- wie auch langfristig negative ökonomische Folgen für uns persönlich hat (Wiedereinstieg, Rentenansprüche usw.)

Keine Frage sind das wichtige Punkte.

Und es sind Punkte, die anders gestaltet werden müssen!

ABER Ökonomie und Karriere dürfen eben nicht die einzigen Parameter sein.

Zumindest sind sie das nicht für mich.

Aber da ist ja jede*r frei seine*ihre eigenen Prioritäten zu setzen.

Ja in dieser Hinsicht war es nachteilig, 6 Jahre nicht (kaum) erwerbstätig zu sein.

Aber stattdessen durfte ich etwas anderes erfahren.

Etwas, dass man ökonomisch nicht aufwiegen kann.

Ich habe jeden Entwicklungsschritt, alle guten und schwierigen Zeiten mit unserem Sohn intensiv erlebt und begleitet. Diese Entwicklung zu begleiten ist zauberhaft. Magisch. Und phasenweise scheisse anstrengend. Eine Reise, die ihres Gleichen sucht. UND es ist so eine sinnhafte Tätigkeit.

Niemals wird man auf die Zeit mit den Kindern zurückblicken und denken, dass es Zeitverschwendung oder sinnlos war.

DAS!!!! kann ich garantieren!!!!

Und wie viele Arbeitnehmer*innen kennt ihr, die das über die letzten Jahre ihres Lebens denken?
Ich merke genau zu dieser Zeit, wenn bei uns das Schulalter ansteht, dass diese intensive Zeit und meine ständige Fürsorgerolle so nicht mehr gebraucht werden.

Die Welt ruft.

Meine Hilfe und Anwesenheit ist immer öfter überflüssig. (Klischee-Alarm! Die Zeit vergeht so schnell)
Und ich kann mich langsam verstärkt anderen Dingen widmen. Dingen, die jahrelang wenig Raum hatten und die mir auch wichtig sind.

Und ich bereue keinen Tag, auch wenn mir nicht jeder Tag gefallen hat.

Eines ist sicher! Rückblickend wünscht sich keine Menschenseele, er*sie hätte lieber WENIGER Zeit mit den Kindern verbracht.

An dieser Stelle sollte allen klar sein, dass nicht jede*r alle Wahlmöglichkeiten hat. Die Rahmenbedingungen sind bei jeder Familie anders. Die Gedanken sollen niemandem ein schlechtes Gewissen machen, weil er*sie arbeitet, sich beruflich entfaltet, oder schlicht “Geld heranschaffen muss”.

Vielmehr soll der Beitrag helfen, die Zeit mit den Kindern wertzuschätzen, wenn wir gerade eher in einer Negativschleife stecken.

Der Text darf aber auch anregen, ob es nicht vielleicht doch andere Optionen gibt, wenn wir Ökonomie nicht zur einzigen Betrachtungsperspektive machen.

Am Anfang schrieb ich “Man kann nicht alles haben.”
Dann stieß ich auf den schöneren Satz:

Wir können alles haben.
Nur nicht gleichzeitig.

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